Die Gestalttherapie
Seit beinahe 30 Jahren arbeite ich als Psychotherapeut. Die ersten drei Jahre meiner Laufbahn in einer Fachklinik für psychosomatische Erkrankungen in Deutschland in Bad Schönberg, die letzten 26 Jahre im Ambulatorium für Psychotherapie der Wiener Gebietskrankenkasse. Seit sieben Jahren bin ich auch Lehrtherapeut am Institut für Gestalttherapie Wien (IG Wien). Mein methodisches Werkzeug als Psychotherapeut ist die Gestalttherapie. Ich möchte Ihnen diese Psychotherapiemethode in einigen Sätzen erläutern.
Die Gestalttherapie ist weltweit eine der größeren Psychotherapiemethoden. Sie wurde von Fritz und Lore Perls, zwei deutsch-jüdischen Psychoanalytikern, in der Zeit ihrer Emigration aus Nazideutschland erst in Südafrika dann in den USA entwickelt. Von Amerika ausgehend verbreitete sie sich schnell in viele Länder. Die Gestalttherapie zählt zu den sogenannten Erlebnis aktivierenden Methoden. Der therapeutische Erkenntnisprozess sollte über direktes Erleben erfolgen. Solche unmittelbaren Erfahrungen während einer Therapie können zum Beispiel in Rollenspielen, in psychodramatischen Inszenierungen oder durch Körperwahrnehmungsübungen gemacht werden. Ausgehend von ihrer eigenen aktuellen Wahrnehmung schlägt die Therapeutin dem Klienten solche Übungen vor. Dabei können alte unerledigte Konflikte durchgearbeitet und zu einem guten Ende geführt, aufgestaute Gefühle wiederbelebt und bearbeitet und bislang missachtete Bedürfnisse und Wünsche identifiziert und zum Ausdruck gebracht werden. In Rollenspielen können Klienten zum Beispiel neue Lösungsmöglichkeiten erproben. Eine für den Klienten besonders wichtige Möglichkeit neue und bereichernde Erfahrungen zu machen, ist der direkte Kontakt mit dem Therapeuten. Viel mehr als in anderen Methoden, bringt sich der Therapeut in der Begegnung mit dem Klienten mit seiner ganzen Persönlichkeit ein. Der Therapeut ist sein eigenes wichtigstes Instrument (E. u. M. Polster). Ziel ist eine gute persönliche Begegnung auf der Ich-Du Ebene zwischen Klient und Therapeut. Das bedeutet für den Klienten oft neue, meist ungewohnte, auch sehr berührende Kontakterfahrung zu machen. Dass man zum Beispiel von einem anderen Menschen ernst genommen wird, dass er einem zuhört, ist für viele Menschen eine neue, oft auch eine erschütternde Erfahrung. Wie ein Patient dann mit solchen Erfahrungen umgeht, ist Teil des therapeutischen Prozesses. Da ja viele Klientinnen unter ausgeprägten Kontaktblockaden leiden (Vermeidungstendenzen, Rückzugstendenzen usw.), bekommt das Verhalten des Therapeuten für diese Menschen oft Modellcharakter.
Jede seriöse Psychotherapie sollte einen möglichst weitgehenden Entwicklungsprozess des Klienten anstreben. Autonomes und differenziertes Denken und Handeln sind dabei wichtige Ziele. Symptomfreiheit ergibt sich meist von selber.
Viele der hier kurz skizzierten therapeutischen Prinzipien gelten auch für die meisten anderen Therapieschulen, das Spezielle in der Gestalttherapie ist die erlebnisorientierte im Hier und Jetzt gegründete Vorgangsweise und das sich sehr persönliche Einbringen des Therapeuten im Kontakt zum Klienten. Mein ganz spezieller persönlicher Zugang zur Therapie zum Beispiel ist Humor und Ironie. Ich könnte mir Psychotherapie gar nicht mehr anders vorstellen, als immer wieder mal mit einem Klienten oder mit der Gruppe zu lachen.
Einige Gedanken über Humor in der Psychotherapie
Ich halte Humor für sehr wichtig. Überall. Besonders auch in der Psychotherapie, wo es meist nicht so viel zum Lachen gibt. Dass ich dem Humor oder gar der Ironie in meiner Arbeit so viel Platz gebe, war nicht immer selbstverständlich. In meinen ersten Jahren als Psychotherapeut plagte mich oft das therapeutische schlechte Gewissen, welches in diesem Fall besagte, Späße machen in Therapien sei nicht korrekt, denn es bedeutet indirekte Aggression, und es gab kaum etwas Schlimmeres, als indirekt aggressiv zu sein, wo doch in der Gestalttherapieszene die große Offenheit angesagt war.
Zwei Erlebnisse haben mir geholfen, mich von dieser Gewissenskrise zu befreien. Da gab es einmal eine Begegnung mit einem Schamanen auf Europatour, der sein Seminar mit vielen Späßen würzte und betonte, dass Schamanen gerne Späße machen, um alles Bedeutsame auch relativieren zu können.
Die zweite und wichtigste Erfahrung machte ich in San Diego, auf einem Ausbildungstraining in Gestalttherapie bei den Therapiepionieren Erv and Miriam Polster. Selten erlebte ich auf einer derart hochkarätigen Lehrveranstaltung soviel Lachen und Spaß wie dort. Ich habe in diesen zwei Monaten enorm viele wichtige Erfahrungen gemacht, eine davon war, dass es auch bei den ernstesten und schwersten Themen heiter zugehen kann und darf; und das noch, ohne dabei flach zu werden. Es ist also gar nicht nötig, so verbissen ernst zu sein, wie ich es in deutschsprachigen Veranstaltungen oft erlebt habe.
Die wichtigste Bedeutung, die für mich Humor in der Therapie hat, ist das Relativieren von Problemen, das Herausführen aus dem depressiven Sumpf und das Signalisieren: Solange man noch lachen kann, geht das Leben weiter, gibt es eine Lösung. Man muss sie nur suchen. Wer nur jammert, der stagniert. Oft hilft auch Lachen, einen Todpunkt in einem therapeutischen Prozess zu überwinden. Es hilft mit, die Zwerchfellblockade, die totale Angstspannung im Zwerchfell, zu lösen. Energie kann wieder besser fließen und die therapeutische Arbeit kann weitergehen.
Wichtig ist natürlich, dass der Patient bei allem Spaß und aller Ironie nie das Gefühl bekommen darf, ausgelacht oder nicht ernst genommen zu werden. Das bedeutet für den Therapeuten oft eine Gratwanderung und funktioniert nur dann, wenn in der Therapie eine Atmosphäre der Wertschätzung und des gegenseitigen Respekts vorherrscht.
Die Anspannung zu lösen, wenn es wieder einmal so richtig traurig und hoffnungslos zu sein scheint, und das Dazusetzen einer neuen Dimension, der Dimension: Auch über diese Sache kann man lachen, lachen ohne sie dabei abzuwerten. Wer lacht wendet sich dem Leben zu. Diese beiden Funktionen des Humors sind für mich seit vielen Jahren wichtige Bestandteile und Prinzipien meiner Arbeit. Wenn mir in meiner Arbeit irgendwann einmal der Humor und die Ironie abhanden kommen sollten, dann müsste ich aufhören zu arbeiten.