Betrachtungen zur Tötung Bin Ladens

Kommentar zu einer moralischen Entrüstung

Die politischen Ereignisse überschlagen sich. Knapp vor Drucklegung meines Buches über Fundamentalismus mit dem Titel „Wie Menschen zu Fanatikern werden“, beschäftigt folgende Meldung die Öffentlichkeit: Osama bin Laden ist tot. Getötet durch amerikanische Elitesoldaten bei seiner Festnahme. Und das moralische Gewissen Europas empört sich. Schnell und zuverlässig: „War Bin Laden überhaupt bewaffnet? O Gott nein, er war unbewaffnet! Wie unfair. Er wurde einfach hingeschlachtet.“
Die erste Welle der überbordenden Entrüstung traf die deutsche Kanzlerin, als sie mit gewohnt ernster Miene der Öffentlichkeit die Nachricht über den Tod des Al Kaida Chefs überbrachte: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten“.

Darf Frau Merkel als deklarierte Christin sich denn überhaupt über den Tod eines Menschen freuen? Er war zwar ein Massenmörder. Zugegeben. Aber doch auch ein Mensch! Es gäbe im Zusammenhang mit Bin Ladens Tod vieles zu bedenken und zu erörtern. Moralisten beschäftigt es scheinbar am meisten, ob er unbewaffnet dahingemetzelt wurde und ob man in diesen Zusammenhang das Wort „freuen“ in den Mund nehmen darf.
Liebe Fr. Bundeskanzler. Ich habe mich so wie Sie ganz spontan gefreut. Und ich schäme mich, ob dieser politischen Unkorrektheit auch nicht. Im Gegenteil. Ich möchte diese durch und durch „unmoralische“ Freude gerne mit Ihnen teilen. Es war doch so ein Gefühl der Genugtuung und der Erleichterung in mir und auch so ein innerer Satz: „Endlich ist dieser **kerl tot“.

Ich hätte mich höchstwahrscheinlich ebenso gefreut, wenn General Ratko Mladic, der Schlächter von Srebrenica, der Mörder von ca. 8000 moslemischen Männern und Jungen, bei seiner Verhaftung zu Schaden gekommen wäre.

Ich bin dabei gar kein politischer Anhänger ihrer Weltanschauung. Ich bin auch weder ein „law and order“ Mann oder ein Befürworter der Todesstrafe noch ein christlicher Moralist, der meint, man dürfe sich nicht über den Tod eines Menschen freuen. Ich bin, am ehesten würde ich sagen, ein parteiloser Linker, ein Mensch zusätzlich noch mit spontanen Gefühlen, dem Moral nicht Selbstzweck ist. Und nebst meiner aktuellen, ganz unreflektierten Freude darüber, dass ein vielfacher Mörder, ein Missbraucher und Aufhetzer von gläubigen und meist auch bedürftigen Menschen, tot ist, versuche ich pragmatisch zu denken.

Da stellt sich mir sogleich die Frage: Was hätte eine faire, humanitäre, dem internationalen Rechtsempfinden entsprechende Behandlung Osama Bin Ladens für Konsequenzen gehabt? Ja, man hätte, wie manche meinen, an die sich im Aufruhr befindliche islamische Welt ein Zeichen setzen können, ein triumphales, überlegenes Zeichen, dass der zivilisierte Westen anders agiert als diese Despoten „dort unten“. Wir handeln anders: bei uns wird nicht Gleiches mit Gleichem vergolten, wir hacken auch niemandem die Hand ab, wir halten uns an (unsere) Regeln und Rechtsnormen. Möglicherweise hätte dies einige Menschen in diesen Ländern von der Güte unseres Moral- und Rechtssystems überzeugt. Sicher nicht die Anhänger Bin Ladens. Jeder, der die Denkweisen von Fanatikern kennt, weiß, dass solch eine durch und durch korrekte Vorgangsweise diese Menschen kaum beeindruckt hätte. Im Gegenteil, ich fürchte sie hätten es wahrscheinlich nur als weitere Schwäche des Westens ausgelegt. Und diese Menschen sinnen so oder so auf Rache.
Selbst der fairste Prozess vor einem internationalen Gericht wäre in den Augen eines fanatischen Islamisten kein fairer Prozess, sondern nur ein Erniedrigung Osama Bin Ladens, eines frommen Moslems, eine weitere Demütigung des Islam, eine Gewalt- und Machtausübung im Dienste Amerikas oder des internationalen Zionismus. Ganz nüchtern betrachtet, ist mir wohler zu Mute, dass dieser Herr Bin Laden auf eine möglicherweise unkorrekte Art zu Tode kam und alle heiligen Krieger dieser Welt ihre Rache- und Todesschwüre gegen die Ungläubigen, so wie auch schon vor seinem Tod weiter in den Himmel schreien, als er säße eventuell lebenslänglich in einem (europäischen??) Gefängnis und Angehörige humanitärer Organisationen, Urlauber, Korrespondenten oder sonst irgendwelche unschuldigen Menschen eines (europäischen?) Landes, würden wiederum zu Objekten von Entführungen, um den großen Meister frei zu pressen. Welches Land würde ihn denn überhaupt als Häftling aufnehmen wollen, sagt es mir bitte meine lieben Moralisten? Deutschland vielleicht? Oder wir gar das neutrale Österreich? Gott behüte!

Ich habe einmal vor langer Zeit, Anfang der 70er Jahre, einer Veranstaltung der engagierten Sängerin und Friedensaktivistin Joan Baez beigewohnt. Ihren leidenschaftlichen Ausführungen gegen den schmutzigen Krieg, den ihr Land gerade in Vietnam führte, konnte ich mit großer Zustimmung folgen, doch als sie sich zu der pazifistischen These verstieg, dass auch das militärische Engagement ihres Landes gegen den Hitlerfaschismus abzulehnen sei, es gäbe sicher auch andere Mittel, der deutschen Militärmacht zu trotzen, da war für mich Joan Baez politisch gestorben. Auch Moralisten können fanatisch sein. Und wie.
Das ist bei ihnen, wie ich noch in meinem Buch zeigen werde, gar keine inhaltliche Frage, sondern, wie bei anderen Fanatikern auch, eher ein persönliches Problem. Deswegen gleichen sie sich in ihrer heiligen Inbrunst und in ihrem missionarischen Eifer auch so sehr. Ganz egal welcher Schrift oder welchem Moralkodex sie gerade folgen. Ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für unmoralisch. Wo ich doch Moral nicht nur für eine äußerst wichtige zivilisatorische Errungenschaft halte, sondern selbst meist viel zu moralisch bin. Aber hin und wieder gönne ich mir auch ein wenig Unkorrektheit!

Copyright Dr. Johann Lauber 2011